david tudor – unexpected territories David Tudor (1926-1996)

David Tudor gilt als eine der zentralen Figuren der amerikanischen und internationalen Musikszene der Nachkriegszeit. Der 1996 verstorbene Künstler wurde schon zu Lebzeiten für seine Beiträge als Interpret, Komponist und Performer sowie als Pionier auf dem Gebiet der Live-Elektronik gewürdigt. Bis heute jedoch blieb diese Anerkennung, anders als bei seinem Kollegen und Freund John Cage, weitgehend auf die Welt der experimentellen Musik selbst beschränkt.

Als virtuoser Pianist war Tudor seit den 1950er Jahren über zwei Jahrzehnte hinweg praktisch der einzige Interpret, der sich ausschließlich der Aufführung von Kompositionen neuer und experimenteller Musik widmete. Er brachte Werke von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel, Christian Wolff und - immer wieder - John Cage zur Uraufführung. Tudor war nicht nur ein hochvirtuoser Pianist, er war auch in der Lage, Partituren, die den Interpreten nicht nur spieltechnisch, sondern durch die Verwendung von Zufallsoperationen und interpretatorische Freiheiten auch in einer ganz besonderen Weise als Musiker forderten zu interpretieren. Fast zwangsläufig folgten darauf seit den 1960er Jahren auch eigene Kompositionen.

Bekannt geworden ist Tudor v.a. durch seine home-made-electronics. Bereits in den späten 1950er Jahren hatte er begonnen, mit elektronischen Klangerzeugern und Instrumenten zur Klangmodulation zu experimentieren. Anders als viele seiner Kollegen in dieser Zeit, die in erster Linie in Studios komponierten und elektronische Musik auf Tonbändern produzierten, entwickelte und baute er seine Soundgeneratoren und -modulatoren selbst. Und er nutzte sie auch auf der Bühne in seinen Live-Performances. Die oft kleinen und modularen Geräte waren flexibel einsetzbar und ließen sich zu Geräteclustern kombinieren. Die Einzelmodule konnten dadurch sehr komplexe Netzwerke formen. Heute gilt Tudor deshalb als Begründer der „Live-Elektronik“ - ein Begriff, den man auf Tudors Experimente auf der Bühne zurückführen kann, beschrieb er doch das explizit Neue an einer Aufführungssituation, die seit Mitte der 1960er Jahre immer populärer wurde. Die Performances wurden zu komplexeren Events, die mehr als „nur“ Musik boten. Die „klassische“ Konzertsituation schien aufgelöst. Werke wie „Rainforest“, das aus einer Reihe von Klangobjekten besteht, die mit Körperschallerregern bestückt und im Raum arrangiert werden, sprengten bekannte Aufführungskonventionen. Sie waren als performative Installationen konzipiert.

Von Anfang an arbeitete Tudor dabei mit Künstlern aus anderen Disziplinen zusammen und etablierte eine neue Art des gemeinsamen Komponierens und Performens, indem er eine Bühne für interdisziplinäre Kooperationen zwischen Klang, Musik, Tanz und bildender Kunst schuf. Hierzu zählen an erster Stelle die zahlreichen Arbeiten mit dem Choreografen Merce Cunningham, der Tudor mit der Komposition und Aufführung zahlreicher Stücke für seine Tanzkompanie (deren musikalischer Leiter er sehr lange war) beauftragte, sowie mit bildenden Künstlern wie Robert Rauschenberg, Marcel Duchamp, Jackie Matisse, Molly Davies, Fujiko Nakaya und Sophia Ogielska. Und hierher gehört auch Tudors wichtige Rolle bei der Gründung von E.A.T. (»Experiments in Arts and Technology«) und der »Composers Inside Electronics«, die Tudor 1973 mit einer Gruppe von Musikern und bildenden Künstlern ins Leben rief.

Tudors Eigenbau-Komponenten, seine Instrumente und Module wurden nach seinem Tod in der Wesleyan University archiviert. Sein kompletter schriftlicher Nachlass dagegen liegt im Archiv des Getty Research Institute in Los Angeles. Umfangreiche Forschungen u.a. von dem japanischen Wissenschaftler You Nakai und dem amerikanischen Entwickler Michael Johnsen haben diesen reichen Instrumentenfundus reaktiviert. Einige der Geräte kommen bei »unexpected territories« zum Einsatz.
datenschutz