stefan rummel
fehlformen
22. Mai – 20. September 2009
Wasserturmquartier
Das Viertel rund um den Wasserturm an der Knaackstraße hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Der morbide Charme der bröckelnden Fassaden, der in den 1990er Jahren viele neue Bewohner anzog, weil er Freiräume bot, ist verflogen. Die Bevölkerung von einst lebt hier schon lange nicht mehr. Sanierte Altbauten mit Eigentumswohnungen, gepflegte Parkanlagen, trendige Läden und Cafés bestimmen heute das Bild.
Dennoch gibt es Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Verwerfungen. Prägen im nördlichen Teil die zahlreichen Straßencafés das Bild, so ist der südliche Teil an der Belforter Straße eine ruhigere Wohngegend geblieben. Und trotz der baulichen Rationalisierungen gibt es nach wie vor Orte, die scheinbar ohne Funktion sind. Solche »Unorte« interessieren Stefan Rummel. Es sind keine spektakulären Orte, sondern Orte, die, so Rummel, »einen gewissen Freiraum in sich bergen«. Wie die beiden Verkehrsinseln an den Kreuzungen Knaackstraße/Rykestraße und Belforter Straße/Straßburger Straße, zwei durch die Straßenführung isolierte inselartige Flächen, die nur zum überqueren der Fahrbahnen oder zum Parken benutzt werden. Hier installiert er die beiden Teile seiner Installation »Fehlformen«. Die Arbeit ist eine Parabel über die Veränderungen des Viertels: »die Installation kann zeigen, was an diesem Ort fehlt«, schreibt er. »Es fehlt ein Raum/Ort ohne Vorgaben. Die Installation zeigt wie das Aussehen könnte, ist eine Denkhilfe, eine Unterstützung.«
Wie aber setzt man Orte in Beziehung, die nicht nur räumlich weit voneinander entfernt liegen? Rummel hat beide über viele Wochen studiert, ihre Benutzung genau beobachtet, Skizzen angefertigt und Geräusche vor Ort aufgezeichnet. Die Installation, die daraus entsteht, ist optisch und klanglich sehr zurückgenommen, passt sich, obwohl von ihren äußeren Maßen her sehr groß, wie etwas ein, das sich nicht in den Vordergrund drängen will. Auf der Südseite, an der Belforter Straße, installiert er eine Skulptur aus dunkelbraun beschichteten Schalungsplatten — eine 3 x 4 Meter große abstrakte Form aus zwei identischen Teilen, die sich eng um den jungen Baum auf der Verkehrsinsel gruppieren. Sie sind mit Stahlstangen verbunden und stehen nicht ganz symmetrisch. Es wirkt, als hätte der junge Baum eine ehemals geschlossene Form gespalten. Zwischenräume entstehen. Diese »Fehlformen« finden sich auf der Verkehrsinsel an der Knaackstraße wieder. Etwas versteckt inmitten des alten Kastanienbaumes hängen — mit orangefarbenen Zurrgurten an seinen Ästen befestigt — zwei große, keilförmige Blöcke aus weißem Styropor. Ihre Maße entsprechen exakt den beiden Lücken in der Urform auf der gegenüberliegenden Seite. Aber hier, auf der belebten Seite des Viertels, haben die Formen eine andere Materialität. Die Skulptur ist stumm, hängt verborgen im dichten Blätterdach des alten Baums und ist erst auf den zweiten Blick sichtbar. Auf der anderen, ruhigeren Seite steht die Form fest auf dem Boden, ist für jedermann zugänglich und klingt permanent, Tag und Nacht. Vier kreisrunde kleine Löcher — an den Stirnseiten und an den Innenseiten — verbergen die Lautsprecher. Zu hören sind sehr leise, hohe, leicht diffuse Klänge, aus denen sich immer wieder einzelne konkretere Geräusche herausheben. Für die 4-Kanal-Komposition verwendet Rummel Klänge, die er in der Vorbereitungsphase aufgezeichnet, dann bearbeitet und mit abstrakteren Klängen aus seinem Archiv angereichert hat. Ähnlich zurückhaltend wie die gebaute Skulptur in den Raum fügt sich die Komposition in die Umgebungsgeräusche ein. Und so entstehen auch in der klanglichen Narration Zwischenräume und Leerstellen — Fehlformen.
Technische Assistenz: Eckehard Güther
Tontechnik: Manfred Fox
Technische Assistenz & Herstellung Styroporform: Sculpture Berlin